Pakistan: Eine Enttäuschung

Ich bin enttäuscht…
Bevor ich mich dazu entschieden haben, für die Hochzeit eines Freundes nach Pakistan zu reisen, habe ich mich ein wenig über das Land informiert und oh Junge… da gab es einiges, was zu der Zeit abging. Von brennenden Schweizer Flaggen in Karachi über angeschossene Abgeordnete bis zu brandaktuellen Terroranschlägen in Peshawar wurden mir viele Gefahren versprochen. Dementsprechend umfangreich gestaltet sich die Webseite des EDA über Pakistan mit allerhand Warnungen, was alles passieren könnte. Entführungen, Explosionen und generell die Gefahr von Raubdiebstählen. Erwartungsvoll bin ich mit einem verständlich mulmigen Gefühl in das Abenteuer Islamabad gestartet. Ich habe an der Hochzeit mit mehr als 1’200 Gästen teilgenommen, habe die Hauptstadt erkundet, bin in den Norden gereist und habe dabei unzählige Menschen kennen gelernt. Nur, um am Schluss festzustellen, dass ich gesund und in einem Stück wieder zu Hause angekommen bin. Unglaublich…

Nicht die Schweiz

Bitte entschuldigt mir meinen Zynismus. Er ist primär an mich selbst gerichtet. Beziehungsweise meinem Ich vor der Reise. Denn ich hatte Angst davor, nach Pakistan zu reisen. Angst vor den Berichten, den Warnungen und den Gefahren. Vor allem aber die Angst, die ich mir selber machte. Aber ganz ehrlich:
– Es gibt Terroranschläge in den Grenzregionen? Dann geh nicht dorthin. Das Land ist gross genug.
– Es werden Flaggen deiner Heimat verbrannt? Dann wedle nicht mit deinem Schweizer Pass umher.
– Raubüberfälle passieren auf den Strassen? Dann verhalte dich unauffällig und trag nicht dein ganzes Hab und Gut bei dir.
Mit gesundem Menschenverstand lassen sich die allermeisten, potenziellen Gefahren entschärfen. Aber eben… Wenn sich Ängste einfach wegrationalisieren lassen würden, wären sie nicht so ein Problem. Wir hatten auf jeden Fall zu keiner Zeit das Gefühl, unsicher zu sein. Und das lag vor allem an einer Sache: Den Menschen.

Ich bin mittlerweile in über 40 Länder gereist. Nirgends habe ich so eine bedingungslose Gastfreundschaft gegenüber Fremden erfahren wie in Pakistan. Nicht nur von den Bekannten und der Familie unseres Freundes, die uns an allen Festivitäten der Hochzeit teilnehmen liessen. Sondern auch von Händlern, Taxifahrern, Hotelangestellten, Sicherheitsleuten, Couchsurfern und Leuten, die uns einfach über den weg liefen. Einige Beispiele?

1. An unserem ersten Ausflug zum Pakistan Monument ist ein schwarzer Wagen, der gerade vom Parkplatz losfahren wollte, kurz neben uns stehen geblieben. Die Fensterscheibe sank nieder und ein junger Pakistani fragte uns, woher wir kommen. «We’re from Switzerland», antworteten wir wahrheitsgetreu. Ausserdem wollte er wissen, ob es uns so weit gefällt, was wir bejahten. Dann sagte er noch “I wish you a wonderful time in Pakistan and thank you for your visit” und fuhr davon.

2. Am ersten Abend der Hochzeit wollte ich nach einigen Stunden im Saal ein wenig frische Luft schnappen. Nach 30 Sekunden sprach mich die erste Person der Hochzeitsgesellschaft an, ob mir kalt sei. Er würde mir sonst eine Decke holen. Eine Minute später war bereits die nächste Person bei mir, um zu Fragen, ob alles in Ordnung ist und wie mir die Hochzeit gefällt. Es folgte noch ein weiterer Dialog mit einer (bis dorthin) fremden Person, mit der ich über die Arbeitssituation in Pakistan gesprochen habe.

3. Im Lok Virsa, dem Herkunftsmuseum von Pakistan, gab es ein paar Food-Stände zum Erkunden. Wir schlenderten an diesen vorbei und genossen die fremden Düfte uns unbekannter Speisen. Bis uns einer der Verkäufer ansprach, ob wir seinen Chai-Tee probieren möchten. Klar wollten wir, weil Chai-Tee geht immer. So besorgte er uns schnell (ohne Aufforderung) ein paar Stühle, damit wir es uns bequem machen konnten. Kurze Zeit später genossen wir den Tee und er war fantastisch, was wir ihm natürlich auch so mitteilten. Anschliessend bestand er darauf, uns noch ein Sandwich zu machen, welches nicht mindergut schmeckte. Selbstredend fragten wir ihn am Schluss, wie viel wir ihm für Speis und Trank schuldig sind. «Nichts. Ihr seid meine Gäste und ich bin froh, wenn es euch so gut geschmeckt hat.»

Was praktisch alle diese Erfahrungen eint: Es wurde nie eine Gegenleistung erwartet. Oftmals war das Einzige, was wir ihnen als Dank geben durften, ein Foto mit uns. Als kleine Erinnerung, dass wir uns getroffen haben.

Auch nicht die Schweiz

So… wir haben das Bild von Pakistan, das Thema Angst und den (für mich) einprägsamsten Aspekt des Landes behandelt. Zu guter Letzt noch ein Punkt, der mir am Herzen liegt…

Oftmals, wenn wir gesagt haben, dass wir aus der Schweiz kommen, wurde dies von unseren Gesprächspartnern als «the most beautiful place in the world» bezeichnet. Oder wenn ich mit Leuten aus der Schweiz geschrieben habe, erhielt ich Nachrichten, dass ich «sicher froh bin, wenn ich wieder zu Hause bin». Lasst es mich klar sagen: Die Schweiz ist weder besser als Pakistan, noch ist Pakistan schlechter als die Schweiz. Natürlich verfügen «wir» über eine bessere Infrastruktur, eine stabilere Währung und eine neutrale Haltung, die uns aus Konflikten raushält. Was Pakistan aber an Wohlstand und Reichtum fehlt, macht es mit Herzlichkeit, Fürsorge und Engagement für Familie und Freunde wieder wett. Ich würde mir wünschen, dass in meiner Heimat mehr Platz für bedingungslose Nächstenliebe wäre, wie ich sie in Pakistan erfahren habe. Und dafür, dass ich diese Erfahrung machen durfte, bin ich Hassan, seiner Familie und Freunden, sowie all unseren Begegnungen in Pakistan unendlich dankbar. Und seit euch gewiss: wenn ihr mich in der Schweiz besucht, werde ich dafür sorgen, dass ihr die bestmögliche Zeit haben werdet.

Viel Liebe nach Islamabad und Haripur,

Andy


Wer Lust auf ein paar zusätzliche Geschichten aus Pakistan hat, soll mich auf folgendes ansprechen:
1. Der Strassenverkehr ist Crazy
2. Abfall ist am besten im Abfalleimer aufgehoben
3. Kein Alkohol, nirgendwo
4. Hochzeitsgesellschaften getrennt
5. Die «Dusche» beim Polterabend
6. «You are free now»
7. Meine erste Begegnung mit der pakistanischen Küche
8. Geschichten vom Food Festival in Islamabad
und viele mehr…

Wer übrigens noch ein wenig Pakistanische House-Musik hören will, wird hier fündig: