Ein schöner Tag mit Spucke

Mein Tag war soweit sehr schön. Nachdem ich ausgeschlafen habe, gönnte ich mir noch eine Stunde Zocken im Bett, bevor ich gemütlich zwei, drei Dinge am PC erledigte. Danach machte ich mich auf dem Weg, bei diesem schönen Wetter draussen Sport zu treiben. 90 Minuten Joggen/Spazieren, bis ich bei meinem Lieblingsziel angekommen bin. Nach einer Dusche machten sich meine Freundin und ich auf den Weg, zu Fuss zum Hauptbahnhof zu laufen. In der Schweiz weiss man nie so recht, wann es mit dem sonnigen Wetter vorbei ist. Also sollte man die Sonnenstrahlen geniessen, solange sie da sind.

Kurz vor der Langstrasse kommt uns ein Typ entgegen, der zielgerichtet auf mich zulief. Schwarze Sonnenbrille, weiss/hellblau gestreiftes Hemd, Gel-Frisur und Jeanshose. Er lief mit so einem Schritt auf mich zu, dass ich mich abwenden musste, damit wir nicht zusammenstossen. Fand ich komisch, aber kann im Zürcher «Chreis Cheib» schon mal passieren, dass man Personen begegnet, die leichte Koordinationsschwierigkeiten haben. Nachdem er also hinter uns war, wollten wir weitergehen. Da hörten wir ihn aber etwas ausrufen. Es folgte das Geräusch eines starken Luftausstosses und vor meinem Auge flogen die weissen Überreste eines Spucke-Klumpen vorbei. Der Grossteil des Geschosses landete auf meinem Rücken. Und in dem Moment war ich vor allem eines: Verwirrt…

What?
Im Ernst… das letzte Mal bespuckt wurde ich irgendwann mit 7 oder 8 Jahren bei einem Streit, bei dem es um Panini-Sticker ging. Damals jagte ich dem Spucker wutentbrannt für 30 Sekunden über den Schulplatz, bis mein Zorn sich in Eckel umwandelte und ich mit dem «Ich zahl’s dir schon mal noch heim»-Gedanken anfreundete. Mit 32 Jahren rechne ich eigentlich aus Prinzip nicht mehr damit, noch von irgendwem angespuckt zu werden. Man kann ja eigentlich davon ausgehen, dass jeder gelernt haben sollte, dass dies wohl mit das Respektloseste ist, was man jemanden antun kann. Ich war also wohl überfordert und wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Zum Glück aber zeigte er mit seiner nächsten Aktion, worauf er eigentlich aus war.

Er hob seine Fäuste in die Luft, blickte zu mir und sagte: «Du oder Sie. Wer soll’s werden?»

Natürlich gab es in mir den Impuls, zuschlagen zu wollen. So provoziert zu werden von irgendeinem Typen, der einfach beschlossen hat, Stress zu machen, ist nicht lustig. Klar will ich mir das nicht gefallen lassen. Aber mal abgesehen von diesem ersten, provozierten Impuls…

Warum sollte ich mich mit ihm prügeln?
Bis zu diesem Moment war der Tag echt mega schön. Nur, weil jetzt jemand auftaucht und mich provoziert, heissts das noch lange nicht, dass ich darauf eingehen muss. Hätte ich mich geprügelt, hätte es zwei mögliche Ausgänge gegeben:

  1. Während dem Kampf wäre die Polizei aufgetaucht und hätte uns beide für Abklärungen mitgenommen. Bis alles über die Bühne gegangen wäre, wäre die Sonne bereits untergegangen und wenn ich Pech gehabt hätte, hätte das ganze noch ein längeres, juristisches Nachspiel gehabt.
  2. Er hätte mich verprügelt und ich hätte für die nächsten Tage wohl zwei, drei körperliche Beschwerden gehabt.

In beiden Fällen wäre aus einem schönen, entspannten Sonntag ein nerviger, schmerzhafter Tag geworden. Und warum? Weil irgendein Typ, der nur für 30 Sekunden in meinem Leben existent war, entschieden hat, seinen Frust durch eine Schlägerei an mir auszulassen. Der Typ ist mir egal. Ich sehe keinen Grund, auch nur einen Finger für ihn zu krümmen.

Menschlichkeit
Ich bin kein Fan des Worts «Männlichkeit». Weil ich Eigenschaften per se nicht einem Geschlecht zuschreiben möchte. Männer sollen «Stark» sein, sich «Nichts gefallen lassen» sollen oder «Ihren Mann stehen»? Ehrlich gesagt finde ich eine Welt schön, in der auch Frauen, Jungs, Mädchen und Diverse Menschen das machen. Also wenn es darum geht, was ich mir von Menschen wünsche, dann ist es vor allem eines: Das sie für die Dinge einstehen, die ihnen wichtig sind.

Dieser Typ aber bedeutet mir nichts. Weder seine Vergangenheit, die ihn zum Spucken veranlasst hat. Noch sein Selbstbewusstsein, dass diese Provokation und eine Schlägerei gebraucht hat in diesem Moment. Er ist mir absolut egal. Ich habe keinen Grund, meine Zeit und Energie mit ihm zu verschwenden. Denn mein Selbstbewusstsein lässt sich nicht bespucken.

Was mir aber wichtig war in dem Moment: Den Tag und die Zeit mit meiner Freundin weiter zu geniessen. Und ich lasse mich nicht von ein wenig Spucke von irgendeinem anstandslosen Typen diesen Moment verderben.

Wie es ausging
Nun bin ich diesem Text aber noch die Auflösung der Szene schuldig. Und was soll ich sagen… die Realität ist viel unspektakulärer, als es Hollywood uns immer verkauft. Nachdem er seine Fäuste in die Luft hob, reagierte ich nur mit einem verdutzten Blick. Meine Freundin sagte noch in einem Tonfall zwischen empört und erzürnt: «Der hat dich bespuckt!». Doch ich blieb verwirrt stehen, bis es dem Typen ein wenig zu dumm wurde, er sich umdrehte und davon ging. Erst dann fand ich meine Stimme wieder und sagte ihm im männlichsten Tonfall, den ich draufhabe: «Dir hat man Anstand wohl nie gelehrt, oder?». Er liess sich davon nicht provozieren und ging, wie auch wir, seiner Wege.

Ich für meinen Teil überlege mir jetzt, wie ich reagieren werde, wenn das nächste Mal mir jemand gegen das Schienbein tritt oder mich an meinen Haaren reisst.

Das Shirt, welches ich getragen hatte. Wahrscheinlich hat er einfach den Gag nicht verstanden…