Die Investition

Kennt ihr dieses Gedankenspiel, wenn ihr eine Zahl nimmt und sie mit eurem Alter vergleicht? Als Kind hatte ich regelmässig solche Gedanken: „Das ist in drei Jahren. Also nochmal alles, was ich von der 1. bis 3. Klasse erlebt habe. Das dauert noch eeeeeewig.“ Drei Jahre waren damals mit 10 Jahren auch noch unglaublich viel. Heute sind die Zahlen grösser. „Was? Der feiert seinen 18ten Geburtstag? Vor 18 Jahren war ich… selbst auch 18 Jahre… Hä?“. Oder der Schreck von heute Mittag, als ich auf meiner 3. Säule Vorsorge-Planung gesehen habe, dass es lediglich noch 26 Jahre (voraussichtlich) dauert, bis ich pensioniert werde. Was, natürlich, noch ein gutes Weilchen dauern wird. Aber das waren die 3 Jahre damals mit 10 auch.

Manchmal vergesse ich, dass Zeit tatsächlich etwas ist, was vorüber geht. Wie damals, als ich über einen Zeitraum von 17 Jahre keine Handballsaison ausgelassen habe. Die Trainings, die Spiele gegen die gleichen Gegner, die Hallen… alles war wohlbekannt. Bis eines Tages plötzlich 4-5 Spieler aus der aufgelösten Juniorenmannschaft im Training standen, die neue Teammitglieder waren und dich daran erinnern, dass du vor 12 Jahren mal „einer von den Jungen“ warst. Der dann die älteren Spieler angeschaut und gedacht hat: „Wow… die sind alle so… erwachsen… und alt…“. An dieser Denke hat sich auch nicht viel verändert, ehrlich gesagt. Auch heute denke ich, wenn ich andere in meinem Alter sehe, dass die „viel erwachsener und älter sind“ als ich. Schlussendlich ist man ja eh immer so alt, wie man sich fühlt. Gedanklich zumindest…

Der Sinn dieses Text ist es aber nicht, die Welt wissen zu lassen, dass ich „5-vor-Midlife-Crisis“ bin. Mir geht’s mehr darum, dass ich so beschäftigt damit war, mein Leben zu leben, dass ich gar nicht gemerkt habe, wie die Jahre dahingezogen sind. Und wie viel Kraft und Zeit ich in Kämpfe investiert habe, die ich gar nicht gewinnen konnte. Und weil das mit dem „Erkenntnisse aus einem Text mitnehmen“ so ein Ding bei mir zu werden scheint, hier zwei Gründe, für die es sich zu kämpfen und investieren lohnt:

Für das gleiche Ziel
Man nehme ein Handball-Team als Beispiel. Wenn das ganze Team Vollgas gibt, um den Sieg zu hollen, gibt es nichts besseres, als seinen Körper zum erreichen des gemeinsamen Ziels zu schinden. Wenn man aber merkt, ein paar Spieler in der Verteidigung rumgurken und deswegen Tor um Tor passiert, lohnen sich die eigenen Anstrengungen auch nicht. Logisch, weil das Ziel nicht erreicht werden kann. Oder nehmt eine Firma, die um’s überleben kämpft. In der alle auf die Ausgaben achten und unbezahlte Überstunden leisten. Ausser die Verkaufsverantwortliche, die jeden Tag Morgens und nach dem Mittagessen erstmal 30 Minuten mit ihrer Tochter telefoniert und auch sonst nicht den Einsatz gibt, den die anderen Leisten. Wenn hingegen das Team sich gegenseitig über die Erfolge des anderen freut und gemeinsam auf ein Ziel zugeht, kann auch Arbeit Spass machen.

Klar, das war jetzt ein Beispiel, bei dem man mit Anderen interagiert und sein wohlbefinden vom Verhalten anderer abhängig macht. Eher unbefriedigend, weil man andere logischerweise nicht kontrollieren kann. Darum ist Grund Nummer 2, für den es sich zu kämpfen lohnt auch:

Für sich selbst
Klingt banal, ist es aber absolut nicht. Weil auch wenn der Mensch ein soziales Wesen ist und man längerfristige Bindungen eingeht, ist man für das eigene, persönliche Glück letzten Endes immer selbst verantwortlich. Und man sollte niemandem die Verantwortung für das eigene Glück zuschieben. Darum: Wenn alle Stricke reissen, wenn das Team einen im Stich lässt und man auf dem Boden der Tatsachen aufgeschlagen ist, ist es Zeit, wieder auf die Stimme in dir selbst zu hören. Auf den Körper, der einem sagt, dass man sich mal wieder einen 500ml „Fior di Latte“ Glacé-Eimer gönnen soll. Oder der dir sagt, dass du auch mal absagen kannst, um zu Hause auf dem Sofa liegend „Succession“ weiterschauen zu können. Man kann auch gut und gerne in eine Idee Zeit und Kraft investieren, von der man weiss, dass es eigentlich aussichtslos ist. Solange man für sich noch etwas aus der Sache mitnimmt und weiss, wann es genug ist.

Kommen wir langsam zum Fazit und weil ich in den vergangenen Wochen echt viel „Succession“ geschaut habe, verbildlichen ich das dementsprechend passend.

Alle wir, die hier diesen Text lesen, haben ein tägliches Kapital zu vergeben. An Zeit, Energie, Aufmerksaamkeit, Liebe… Und all diese Dinge haben einen Wert. Nichts ist selbstverständlich und sollte es auch nicht sein. Die wahre Kunst ist es also, sicht bewusst zu sein, für was wir unsere Zeit auf diesem Planet einsetzen und wann der Zeitpunkt gekommen ist, diesen Fokus anzupassen. Denn die Zeit läuft, ob wir uns dem bewusst sind oder nicht. Und es wäre schade, wenn das Leben an uns vorbeiziehen würde, ohne das wir es merken.